Schon nach Berlin ging die Reise mit gemischten Gefühlen nach Düsseldorf. Bei einigen Lieferanten wurde man den Verdacht nicht los, dass der Mut die Kreativen auf halber Strecke verlassen hat. Sah man doch wieder sehr Ähnliches, Vergleichbares, zu wenig Überraschendes, zu wenig Ecken und Kanten.
Ist ja auch immer leicht geschrieben, dass es mehr Mode braucht, mehr Spitzen, mehr Highlights. Die schlechten Umsätze der vergangenen Monate sind nicht die beste Basis für mutige Entscheidungen.
Doch Angst essen Seele auf. Der Filmtitel von Rainer Maria Fassbinder aus den 70ern trifft besser denn je auf die Lage unserer Branche. Angst ist so ziemlich das letzte, was jetzt hilft – dicht gefolgt von Abverkaufslisten aus vergangenen Saisons und dem legendären Satz “das hat sich noch nie verkauft”. Der Jumpsuit oder Overall oder Einteiler oder wie man ihn auch bezeichnen mag…was wurde gewettert, als die ersten in den Kollektionen hingen. “Unpraktisch”, “völlig unkommerziell, da müssen sich die Frauen bei jedem Toilettengang komplett ausziehen” wurde geschimpft. Heute ist der Overall ein Selbstläufer auch in marktstarken Kollektionen.
Nicht anders bei den Hosen. Als die Skinny aufkam, waren auch viele Einkäufer sicher, dass die schmale Hose sich nicht durchsetzen wird, weil Frauen schon in Konfektionsgröße 40 darin aussehen wie eine Presswurst. Dass es anders gekommen ist, muss ich Ihnen nicht sagen. Dass jetzt wieder Einkäufer darauf beharren, dass weite Hosen keine kommerziellen Chancen haben, ist ein Indiz, dass sich Menschen nur schwer ändern – und in der Modebranche offensichtlich ganz besonders. Auch wenn weite Hosen- und es geht hier nicht nur um die Marlene-Form – in diesem Frühjahr noch nicht den Mega-Durchbruch hatten, wird sich die Hosensilhouette entspannen – Schritt für Schritt. So ein Silhouettenwandel geht nicht von heute auf morgen. Doch wer für nächstes Frühjahr maximal fünf Prozent auf weitere Hosenformen setzt, wie mir das ein Modehaus vor Berlin angekündigt hat, muss sich nicht wundern, wenn es nächstes Jahr womöglich auf den Skinnys sitzen bleibt – oder andere die Geschäfte mit neuen Formen machen. Es gibt so viele modische Hosenformen. Verkürzte 7/8 Hosen mit moderater Weite, Trackpants, Jogginghosen, Chinos – man muss ihnen nur eine Chance geben.
Denn Mut wird nicht immer, aber manchmal dann doch belohnt.Rieke Common zum Beispiel von Maison Common zeigt pinkfarbene Flamingos auf Cashmere-Seidenstrick und ausgestellten Röcken oder platzierte Stickereien auf blau-weiß gestreifen Hemdblusenkleidern – und erntet dafür von Saison zu Saison mehr Zuspruch. “Meine Kollektion liebt man oder hasst man”, sagt sie. Im Moment scheinen sie mehr zu lieben. Polarisieren ist besser als in der Grauzone nicht gesehen zu werden.
Die Lust der Kunden auf Spaß und Lebensfreude in der Mode ist offensichtlich – eine Form von Ablenkung von unseren aktuell schwierigen Zeiten, in denen uns täglich neue Hiobsbotschaften um die Ohren fliegen. Der Patch-Boom ist ein Indiz dafür, dass eine große Sehnsucht nach Dekoration besteht. Der Erfolg von Gucci ebenso. “Wir haben jetzt schon einen Abverkauf von 50 Prozent der neu ausgelieferten Ware”, berichtet eine Einkäuferin in Düsseldorf, “damit hätte ich selbst niemals gerechnet.”
Wer jetzt abwinkt, dass dieser Trend einer kleinen, nicht ernst zu nehmenden Randgruppe vorbehalten ist, der muss einfach mal zu Riani in den Showroom gehen: Das gerade geschnittene Stretch-Kleid mit Positano-Druck und Dreiviertelarm will jeder Kunde auf seiner Order haben. Wem das nicht genügt, kann Taschen mit Comic-Print und quietschbunte Sneaker noch dazu kaufen.
Nicht anders bei Marc Cain. Drucke sind ein Riesenthema, egal, ob für Blusen, Hosen, Kleider, Shirts oder Accessoires. Farbe ebenfalls, sie ist für Frauen, die es nicht ganz so dekorativ mögen, eine gute Möglichkeit, neue Looks zu definieren. Oder man macht es wie Odeeh, die femininen Volant-Blusen sportive Baumwoll-Chinos oder weite, verkürzte Hosen entgegensetzen. Apropos Volants: Die romantische Bluse ist ein neues Key-Piece – gestreift, Uni oder gemustert, manchmal mit Carmenausschnitt, aber in jedem Fall sehr oft mit Volants und raffinierten Details.
Und wenn jemand sich damit in dieser Saison jemand intensiv auseinandergesetzt hat mit Details, dann ist das Dorothee Schumacher. Die Mannheimer Designerin hat quasi gleich mehrere Bahnen Volants als Ärmelidee konzipiziert, eingefasst in kontrastierende Blenden, die dezent gemusterte Blusen und Kleider schmücken. Das hat etwas Romantisches und trotzdem nichts Überladenes, sondern ist voller Leichtigkeit.
Auch Luisa Cerano spielt mit kleinen Details, indem ein Spitzentop in Rosé eine rote Strick-Kante am Saum ziert. Dieses kleine Element verpasst dem femininen Top das nötige Quentchen Lässigkeit. Denn darin sind sich alle einig: Die Lässigkeit wollen sich die Frauen nicht mehr nehmen lassen.
Nun lässt sich nicht bestreiten, dass nicht jede Frau eine Freundin von großrapportigen Blumen- und Italienmotiven wird. Natürlich bleibt uns auch die puristischere Seite in der Mode erhalten. Doch dass auch diese einen neuen Dreh erhält, sieht man am Beispiel Windsor, die an ihrer reduzierten Schnittführung festhalten, aber durch Fältelungen, Plissees und Raffungen eine weichere Komponente hinzufügen. Hinzu kommt eine neue langgezogene, fließende Silhouette, das ebenfalls für eine neue Optik sorgt.
Neue Optiken für Liefertermin September und das noch zu einem starken Preis-Leistungsverhältnis bei einer Kalkulation von 3,0 bietet das dänische Label Birgitte Herskind aus Kopenhagen (über Birgit Wissemann), zum Beispiel fließende weite Hosen, ungefütterte Jerseyblazer, Hängerkleider, Seidenblusen und Pullover mit Plissee-Ärmel. Die EKs starten ab 43 Euro.
Und noch ein Tipp für ein kleines, feines Nischen-Label mit sehr spezieller Handschrift: Ampersand Heart aus New York (über room twelve) – eine Mischung aus Folklore und Workwear – setzt den Fokus auf Denim, für Blusen und Kleider. Blusen gibt es ab 95 Euro im EK, Kleider ab 125 Euro.
Auf den Punkt gebracht! Und: während die Marken und der Handel noch diskutieren und sich zaghaft annähern – oder auch nicht, ist der Verbraucher schon viel weiter… Das kann böse enden….
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Wie immer brilliant und treffend!
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