Neuvember bei profashionals

10 Jah­re lang hat Jürgen Müller profashionals alleine betrieben. Über 10.000 Abon­nen­ten schätzen seine ana­ly­ti­schen und mei­nungs­star­ken Bei­trä­ge rund um das Business mit Fashion und Life­style. Um noch differenzierter auf die Veränderungen des Marktes eingehen zu können, Denkanstöße und Impulse zu liefern, erweitert profashionals seinen Autorenkreis. So werde ich mich künftig dort zu relevanten Trends und Themen äußern – und bin in guter Gesellschaft mit Autoren wie Siems Luckwaldt, Carl Tillessen, Jeroen von Rooijen und natürlich meinem Mann Jürgen Müller und Helmut Fricke, der mit seinen wunderbaren Fotos vertreten sein wird. spielerweekly wird also erst einmal eine Pause machen.

Alle, die profashionals noch nicht kennen oder abonniert haben, können das hier gerne tun. Wir freuen uns und sind hochmotiviert.

“Ich arbeite mit jeder einzelnen Kundin an ihrem roten Faden”

Sabine Yousefy ist durch und durch passionierte Einzelhändlerin. Nach Stationen bei Theresa und Sarajo führte die Münchnerin elf Jahre ihr eigenes Geschäft mit Designermode gegenüber dem Hotel Bayerischer Hof. Vor zwei Jahren trennte sie sich davon. Seitdem veranstaltet Sabine Yousefy regelmäßig Yousefy Privé. Was dahinter steckt, warum sie nicht mehr klassisch stationären Einzelhandel betreiben möchte und was sie in ihrem Job antreibt, verrät sie im Interview mit spielerweekly.

Was genau steckt hinter der Idee Yousefy Privé?

Sabine Yousefy: Wir sortieren uns derzeit und arbeiten an einem neuen Konzept. Dieser Privé ist ein Zwischenschritt, damit ich den Kontakt zu meinen Kundinnen nicht verliere und weiterhin Mode verkaufen kann. Im nächsten Jahr starten wir neu durch, aber mehr möchte ich noch nicht verraten.

Wie kam es zu der Idee?

Wir hatten direkt nach der Ladenschließung unseren ersten Privé gehabt, allerdings dauerte der nur einen Tag, und da war dermaßen viel los, dass daraus die Idee entstand, regelmäßig eine Location zu finden, wo sich unsere Kundinnen mehrere Tage mit uns treffen können. Hinzu kommt, dass ich mit Armano aus Mailand, einem der besten Friseure Europas zusammenarbeite, das habe ich schon in meinem Laden gemacht. Er hat einen Riesen-Fan-Kreis, der immer größer wird, und da liegt es in der Natur der Sache, dass die Damen regelmäßig zum Haare schneiden kommen möchten. Deshalb veranstalten wir etwa alle zwei Monate einen Privé. Armano arbeitet so, wie ich in der Mode arbeite. Aus jedem das Beste rauszuholen, ist unsere Philosophie.

Du hast vor knapp zwei Jahren den Laden geschlossen und Dich vom stationären Handel verabschiedet. Gab es dafür einen Grund?

Ich wache jeden Morgen auf und danke dem lieben Gott, dass ich den Laden nicht mehr habe. Natürlich bin ich glücklich und dankbar, was ich in all den Jahren als Einzelhändlerin erleben durfte, aber der Druck wurde irgendwann einfach zu groß. Wir haben ja auch ein ziemlich großes Rad gedreht, mitten in der Innenstadt, mit den Quadratmetern und der hohen Miete. Jetzt in der Corona-Zeit hätte ich diese Belastung nicht haben wollen. Selbst wenn der Vermieter die Miete stundet, was bringt es? Wie soll man das jemals wieder zurückzahlen? Das schafft kein Einzelhändler und auch kein Gastronom. Die Rahmenbedingungen sind einfach schwierig geworden. Die Frequenz hat schon vor Corona kontinuierlich abgenommen, die Parkplätze sind teuer in den Städten, das Angebot ist durch die Mono-Shops und Vertikalen vergleichbar geworden. Der Anreiz, in die Innenstadt zu fahren, hat stark nachgelassen.  

Muss man heute die Kunden anders abholen, ein Stück mehr entertainen?   

Wir arbeiten im Yousefy Privé nicht anders als früher. Ich habe mein Verhalten nicht verändert. Das Persönliche stand bei mir schon immer im Vordergrund.

Findet der Privé jedes Mal an einem anderen Ort statt?

Das war tatsächlich am Anfang die Idee. Mir schwebte vor, ähnlich wie Browns aus London mit seinem „Nomad“-Konzept von einer Location zur nächsten zu ziehen. Aber gerade jetzt, wo alles noch schnelllebiger ist, habe ich gemerkt, dass es mir guttut, eine Heimat zu haben, und ich glaube, meinen Kundinnen gefällt das auch.

Woher bekommst Du die Ware?

Wir haben aufgrund meiner langjährigen persönlichen Kontakte mit verschiedenen Designern sehr gute Kooperationen. Gewisse Highlights, die ich unbedingt haben möchte, ordere ich, ganz klassisch.

Das heißt, Du bist auch noch regelmäßig auf Einkaufstour?

Ich schaue mir nach wie vor alles an. Ich fahre jetzt auch nach Mailand und Paris. Es ist mir wichtig, informiert zu sein. Hinzu kommt, dass ich stärker denn je nach besonderen Dingen suche. Ich habe keine Lust mehr, Marken aufzubauen, die dann auf einmal fünf, sechs Mal in der Stadt hängen.

Wenn wir schon vom Ordern sprechen. Wohin geht die modische Reise für Dich? Geht es in Richtung Investment-Pieces oder Spaßteile mit Farbe und Drucken?

Intuitiv habe ich zum ersten Mal in meinem Leben für den Herbst Uni und monochrom eingekauft, Camel, Dunkelblau, und das war vor Corona. Ich liebe ja Farbe und Muster, aber mein Gefühl sagt mir, dass es ein bisschen ruhiger wird.  Alle haben quietschbunte Kleider im Schrank, und bestimmte Kleider bleiben hängen, weil im Moment einfach der Anlass fehlt. Ich glaube an eine Form von unangestrengter Mode. (lacht…) Wenn du willst, verlasse ich gerade ein bisschen meinen Pfad von Iris Apfel, immer mehr und mehr miteinander zu kombinieren.

Was macht Dir an Deinem Job am meisten Spaß?

Meine Passion ist das Interesse an Menschen und das Verschönern von ihnen. Ich arbeite mit jeder einzelnen Person an ihrem roten Faden, unabhängig von Trends. Was andere machen, hat mich noch nie interessiert.

“Wir erzählen nicht nur unsere Geschichten, sondern auch die von Menschen und Marken, die wir spannend finden”

SoSUE ist ein Modelabel, Blog und Online-Shop aus Hamburg. Dahinter stecken Sue Giers und ihre Schwester Vanessa. Sue Giers war davor PR-Chefin bei Closed, Beraterin und Einkäuferin bei Linette. Warum sie an Mode mit längerer Halbwertzeit glaubt, Mode heute Netz-fähig sein muss und der direkte Dialog zwischen Marke und Kunde so wichtig ist, verrät sie hier im Interview.

Wie und warum bist Du auf die Idee gekommen, ein eigenes Label und einen Lifestyle-Blog zu gründen?

Sue Giers: Nach der Trennung von meinem Mann habe ich überlegt, wie es beruflich weiter gehen könnte. Ich wollte im Fashion Business bleiben. Wieder für ein Unternehmen zu arbeiten, dazu hatte ich aber wenig Lust. Ich wollte etwas Eigenes. Mein erster Gedanke war, ein Fashion-Label zu gründen. Ich beriet mich mit meiner Schwester Vanessa, und zusammen gründeten wir SoSUE. Vanessa kümmert sich um das Kaufmännische und ich um das Kreative. Dass wir zusätzlich ein Blogzine betreiben, hat mit meiner Vergangenheit als Journalistin zu tun. Ich wollte wieder selber schreiben und anderen die Möglichkeit bieten, auf SoSUE Geschichten über Mode und andere spannende Themen zu erzählen.

SoSUE ist eine kleine, handverlesene Kollektion mit starken Einzelteilen. Was ist die Idee dahinter?

Wir werden tagtäglich mit Angeboten, Marken und Styles überschwemmt – nicht falsch verstehen – ich liebe Mode und ihre Diversität. Trotzdem glaube ich, dass dieses Überangebot nicht mehr zeitgemäß ist. Ich habe bei mir persönlich gemerkt, dass mich die Auswahl erdrückt und die Suche nach dem nächsten Trend-Teil stresst. Das war der Ausgangspunkt, ein paar Teile zu kreieren, die nachhaltig sind und eine längere Halbwertzeit haben. Daraus ist ein Konzept geworden: eine kleine Kollektion, die seasonless, unkompliziert und gut kombinierbar ist. Alle Teile bauen aufeinander auf und lassen sich mühelos kombinieren. Herzstück der Kollektion ist unsere Antonia Bluse, die wir mittlerweile von Texas bis Tokio verkaufen. Sie inspiriert mich zu immer wieder neuen Ideen und Styles. Unser Anspruch ist, eine starke Kollektion mit coolen Eyecatchern zu machen. Weniger ist mehr. Wir legen viel Wert auf gut designte Einzelteile, die saisonunabhängig sind und den individuellen Style unserer Kundinnen unterstreichen.

Auch die Preise sind moderat. Wenn man möchte, machst Du bezahlbare Contemporary-Fashion. Ein Kleid kostet bei Euch zwischen 220 und 290 Euro VK. Was hörst Du von Deinen Followern als Feedback, wieviel Geld sie für Mode bereit sind auszugeben?

Unsere Preise entsprechen dem Zeitgeist. Unsere Followerinnen sind ganz begeistert, weil wir bezahlbare und gut gemachte Qualität anbieten. Außerdem ist SoSUE in fast jeder Situation tragbar. SoSUE ist No-Season. Wir     besetzen eine Nische zwischen konsumiger und Premiummode, davon gibt es immer weniger in Deutschland.

Wie seid Ihr als Start-up durch den Shutdown gekommen?

Zuerst waren wir geschockt. Dazu kam noch die Angst vor dem Virus und die Sorge um Verwandte und Freunde. Dann musste ich mich wie viele andere Mütter neu organisieren. Plötzlich war ich Kantinen-Chefin, Lehrerin, Fitnesstrainerin und Entertainerin. Geschäftlich kam unsere Kollektion pünktlich zum Lockdown in unser Lager. Und keiner wusste, wie es jetzt weitergeht. Für mich gab es nur den Weg nach vorn, und so fing ich an, die neuen Styles vorzuführen. Wichtig war uns, unsere Community zu unterstützen und zu zeigen, dass Mode auch in der Krise Spaß machen kann. Unsere lebensbejahende Haltung im Shutdown kam gut an, wir haben dadurch viele neue Käuferinnen gewonnen. Ich persönlich glaube auch, dass unsere sommerlichen Teile genau den Nerv unserer Kunden und Follower getroffen haben. Es wurde warm und die Sonne schien jeden Tag. Die SoSUE Styles waren frisch und hingen nicht schon seit Dezember in den Läden. Inzwischen haben wir aber auch unsere Kunden im stationären Handel beliefert, zum Teil haben wir sogar Nachbestellungen. Von daher Ende gut, alles gut. Hoffentlich geht das auch anderen so.

Hat sich durch Corona Deine Sichtweise auf die Kollektion bzw. Deine Arbeit geändert?

Während Corona haben sich viele Menschen die großen Sinnfragen gestellt. Ich auch. Mir ist klar geworden, dass alles plötzlich vorbei sein kann, wofür man jahrelang gearbeitet hat. Ich erlebe SoSUE heute intensiver als vor Corona. Für jedes SoSUE-Teil bin ich besonders dankbar, wenn es online geht und den Frauen gefällt. Ich weiß das heute noch mehr zu schätzen als vor der Krise. Und es gilt weiterhin klein, fein, fair und umweltschonend zu produzieren. Unser Miteinander im Team ist nochmal enger und unser Ton fürsorglicher geworden. Ich denke, wir haben alle gelernt, was wirklich zählt und wichtig ist im Leben und sollten uns darauf konzentrieren. Auch in der Mode. Es ist jetzt wichtig, nicht in alte Denkweisen und Muster zu verfallen.

Hat sich generell Dein Blick auf die Mode geändert, seit Du eine eigene Kollektion machst und nicht mehr als Einkäuferin unterwegs bist?

Als Einkäuferin hast du viel Verantwortung und du brauchst viel Wissen und Erfahrung, was Deine Kundinnen möchten und Du musst ihre Bedürfnisse und ihren Kleiderschrank sehr genau im Blick haben. Mode selber entwerfen und vermarkten stellt uns vor ganz andere Herausforderungen. Unsere wachsende Community ist sehr divers, hier können manchmal schon Details entscheiden, ob ein Teil sich gut verkauft oder nicht. Ich muss viel genauer beobachten und beachten als vorher und vorausplanen: Die Produktion, das Stoffangebot, Trend Scouting und dazu die vielen Diskussionen im Team, ob das Teil besonders und auch möglichst versatil einsetzbar ist. Das Risiko in Vorleistung, sprich Produktion zu gehen, ist deutlich höher – schon allein weil es sich um ganz andere Summen handelt.

Wie wichtig ist für Dich die Rückkoppelung mit Deinen Followern?

Für SoSUE ist der direkte Dialog mit unseren Followern sehr wichtig, weil die          Kundinnen hier merken: Das ist ja echtes Leben! SoSue steht exemplarisch für eine Frau, die mitten im Leben steht und einen Alltag zu bewältigen hat. Wir reden mit unseren Follower*innen ja nicht nur über Mode, sondern im Grunde über alles, was uns Frauen in diesem Land bewegt. Wir schätzen auch die vielen Vorschläge und mitunter Kritik an unseren Styles, die wir bekommen. Das nehmen wir sehr ernst und versuchen, es in die nächsten Entwürfe mit einfließen zu lassen. Wenn wir uns selbst unsicher sind, was Farbe oder Style anbelangt, lassen wir unsere Community auch schon mal in den Stories abstimmen. Ich liebe diesen Dialog. Als Fashionbrand müssen wir uns täglich mit unserer Community austauschen, es darf kein Monolog sein, ähnlich wie im stationären Handel auch. Wir machen die Teile nicht nur für uns, sondern in erster Linie für unsere Follower und natürlich auch den stationären Handel, der uns (meist) proaktiv auf Instagram entdeckt.

Gibt es Synergie-Effekte zwischen Deiner Arbeit als Influencerin und als              Designerin?

Wie ich schon erwähnt habe, bekomme ich viel Feedback von unseren Follower*innen und Kundinnen, das ist wichtig für meine Arbeit. Wir haben bei Instagram über 26 Tausend Follower, und jeder von ihnen ist Trendscout und Modekritiker, da kommt es schon zu interessanten Chats. Spannend ist aber auch, dass wir angefangen haben, mit anderen Marken zu kooperieren, die SoSUE als Plattform entdeckt haben, auch hier sind die Diskussionen und Dialoge spannend.

Neben einer eigenen Kollektion machst Du auch noch einen Vodcast/Podcast mit Susann Atwell in Deinem Kleiderschrank, führst Interviews mit Beauty- und Mode-Expertinnen und Experten, Sport- und Ernährungs-Spezialisten. Braucht es dieses Zusammenspiel heute, um Mode zu vermarkten?

SoSUE ist über Inhalte groß geworden. Wir erzählen nicht nur unsere Geschichten, sondern auch die von Menschen und Marken, die wir spannend finden. Das war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Um heute Mode zu vermarkten, musst du deine eigene Mode netzfähig machen, damit sie Menschen erreicht. Wenn ein Ernährungsspezialist oder eine Yoga-Trainerin über unsere Mode redet, macht es SoSUE authentischer und relevanter. Sie wird damit alltagstauglich. In der Mode sollten wir bei der Vermarktung nicht mehr in den üblichen Kanälen denken.

Du verkaufst Deine Mode über Euren Online-Shop, machst aber auch Kooperationen mit Einzelhändlern. Wie läuft diese Form der Zusammenarbeit?          

Wir sind in schönen Läden gelistet, die unserer Philosophie entsprechen – dass macht uns stolz und wir sind sehr dankbar für diese Möglichkeit. Für Händler sind unsere Styles oft eine Auffrischung innerhalb der Saison, weil wir No-Season sind. Wir sind mit SoSUE auf den wichtigen Modemessen nicht mit einem Stand vertreten, aber wir sind vor Ort und laden Händler ein, unsere Mode kennenzulernen. Außerdem haben wir viele Kontakte über das Internet bekommen, weil sie hier praktisch immer auf dem neuesten Stand sind. Auch hier merken wir, dass wir uns von dem klassischen saisonalen Ordergeschäft eher hin zu einem flexiblen, Saison unabhängigen Ordergeschäft hinbewegen.

Besteht auch die Möglichkeit eines SoSUE-Pop-up-Shops? Wie kann man Dich finden?

Bisher haben wir uns an Pop-up-Shops beteiligt. Entweder haben wir uns mit     anderen Marken zusammengeschlossen oder Händler haben uns gebucht und eine Fläche zur Verfügung gestellt, auf der wir unseren Lifestyle und unsere Mode präsentieren können, wie zum Beispiel schon sehr erfolgreich bei Frauke Ortner in Dortmund oder demnächst bei Sagmeister in Bregenz (Corona bedingt leider ausgefallen) oder April Firts in Berlin. Im August planen wir, die nächste Kollektion in München zu zeigen und gleichzeitig ein Pop-up Event zu organisieren. Vielleicht habt ihr ja einen Tipp für eine gute Location?! Wer Interesse hat, findet uns – Informationen sind auf unserer Website so-sue.com oder auf Instagram sosue official.

Du bist eine echte Multitasking-Woman. Allein SoSUE hat so viele unterschiedliche Themen, die Du besetzt. Was macht Dir davon am meisten Spaß?

Am meisten Spaß macht mir die Zusammenarbeit mit meinem Team und der Austausch mit meinen Kundinnen und Follower*innen. Hier lerne ich immer neue Dinge dazu, um dann darüber zu berichten oder es bei SoSUE einfließen zu lassen. Das ist wirklich jeden Tag eine große Freude, schon morgens beim Kaffee die ersten Kommentare zu lesen. Bei SoSUE kommt wirklich alles zusammen, was ich je gelernt habe: Fotografie, Storytelling, Design und PR. Besser geht’s nicht für jemanden, der alles nur so ein bisschen kann.

Frankfurt und Fashion? Passt das zusammen?

Diese Nachricht hat gesessen. Sonntagabend zum Wochenausklang die Hammer-News auf dem TW-Ticker: Nach 20 Jahren zieht die Premium von Berlin nach Frankfurt. „Wir wollen zusammen etwas Neues, Überraschendes und Großes schaffen“, sagt Anita Tillmann gegenüber der TW. „Jetzt ist der Moment, den nächsten Schritt zu tun. Und Frankfurt ist dafür ideal. Coole Stadt, bestens angebunden, wirtschaftlich sehr stark, international wie kaum eine andere.“

Da hat Anita Tillmann recht. Frankfurt ist international, ökonomisch erfolgreich und liegt im Herzen Deutschlands. Man kann nahezu von überall mit dem Auto oder der Bahn anreisen – und muss nicht in den Flieger steigen. In Zeiten von Covid-19 und Nachhaltigkeit ist letzteres sicher ein schlagkräftiges Argument. Auch die anderen Argumente kann ich als langjährige Frankfurterin nur unterstreichen. Aber Mode und Frankfurt? Das passt nicht wirklich zusammen.

Die FAZ schreibt heute morgen, dass die Stadt Frankfurt und das Land Hessen die Messe mit großer Begeisterung willkommen heißen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Berlin Fashion Week für den Standort Berlin eine wirtschaftliche Zusatzleistung von bis zu 120 Millionen Euro pro Saison bedeutet hat. Dieses Geld nimmt jede Kommune mit Freuden.

Dass Detlev Braun, Chef der Messe Frankfurt, sich in der FAZ damit rühmt, dass Frankfurt bislang keine Expertise als Mode-, sehr wohl aber als Textilstandort habe – die Messe Frankfurt ist Marktführer mit Messen und Events für die Textilindustrie, darunter die Heimtextil, Techtextil, Teprocess, Texworld und Intertextile, bringt das Problem auf den Punkt: Frankfurt ist Bank- und Finanzzentrum, nicht aber Modemetropole.

Wenn Anita Tillmann erklärt, es gehe darum, die Modemesse zu einem europäischem Format zu machen, das sich nicht mit deutschen Städten messen soll, sondern mit Mailand und Paris, muss man sich allerdings schon fragen, warum das in der Main-Metropole möglich sein soll, was in 20 Jahren in Berlin nicht möglich war. Denn die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, wie schwer es ist, heute noch einen zusätzlichen Messe- und Modestandort im internationalen Reigen zu etablieren.

Bei allem Verständnis für Konzentration und Neuanfang: Wenn es in Deutschland überhaupt eine Stadt hätte schaffen können, im internationalen Modereigen ernst genommen zu werden, wäre es Berlin gewesen. Berlin ist die einzige Stadt in unserem Land, die den Hauch einer Metropole versprüht und ansatzweise mit Städten wie New York, Paris oder Mailand mithalten kann. Allein wegen den coolen Locations war Berlin immer eine Reise wert. Nicht zu vergessen die Atmosphäre der Stadt, die Bars und Restaurants, das Borchardt als Branchentreff und auch ein Store Check im KaDeWe, Soho-House oder bei Andreas Murkudis haben doch bis zuletzt Einkäufer in die Hauptstadt gezogen, wenn zuletzt auch nicht mehr in dem Maße wie die Jahre davor.

Dass Frankfurt es schaffen soll, den Eisernen Steg zum schönsten Laufsteg Europas und die Zeil zur längsten Modemeile zu machen, ist genauso fragwürdig wie die Tatsache, dass neben den Messen ein Store-Rundgang bei P & C oder ein Restaurant-Besuch im Opern-Café statt Borchardt dieselben Magneten bilden könnten.

Am glaubwürdigsten wird der Standort Frankfurt sicher für alle Themen rund um Nachhaltigkeit und Digitalisierung sein. Was von der Fashion Week, ohnehin stark angeschlagen, bleiben wird, wird sich zeigen.  

Unter dem Aspekt der Bündelung von Kräften hätte als Berlin-Alternative noch eher Düsseldorf Sinn gemacht. Dort haben die meisten Modelabels ganzjährig ihre Showrooms, dort müssen Einzelhändler sowieso zweimal im Jahr hin zum Ordern. Damit wäre Düsseldorf zumindest als Branchentreff für die deutsche Mode nachvollziehbar gewesen.

“Die Kreativität in der Kollektion ist der entscheidende Faktor, um Flächen spannend zu gestalten”

Joop! Women war gerade mitten in der Verkaufspremiere, als Corona kam. Warum Anke Ratzsch, Brand Director Joop! Women, und Thorsten Stiebing, Managing Brand Director Joop!, dennoch zuversichtlich für die nächste Orderrunde sind und wie die Joop!-Macher 2021 wieder Vollgas geben möchten, verraten sie hier im Interview.

Sie haben gerade die Orderrunde für die DOB abgeschlossen, als Corona kam. Inwiefern hat das die Abläufe bei Joop! durcheinander gebracht?

Anke Ratzsch: Die erste Präsentation von JOOP! Women nach der kompletten Überarbeitung der Linie im „House of JOOP!“ im Januar in Berlin und die darauffolgende Order-Saison waren ein voller Erfolg und ein überaus positiver Start der Neuausrichtung von JOOP! Women. Wir spürten und spüren das Vertrauen des Handels in die Marke und schätzen das sehr. Als die Corona-Infektionszahlen Ende Januar 2020 in Asien stark zunahmen, haben wir sofort reagiert und die direkte Kommunikation mit unseren Produktionspartnern vor Ort gesucht, um die rechtzeitige Auslieferung der Kollektion sicher zu stellen.

Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Sie pünktlich und komplett liefern können?

Ratzsch: Nach jetzigem Stand und unseren wöchentlichen Trackings sind wir zuversichtlich, dass wir planmäßig liefern können.  

Werden Sie durch die aktuelle Situation irgendwelche Kurs-Korrekturen an der DOB vornehmen?

Ratzsch: Wir sind mit einer brandneuen Kollektion an den Start gegangen, die sowohl eine casual-loungige als auch feminine Komponente beinhaltet. Beides funktioniert im Zusammenspiel perfekt. Diese Verbindung von Casualness und Design werden wir weiter ausbauen. Sie passt unserer Meinung auch gut in die jetzige Zeit, denn die Frau von heute legt nicht nur Wert auf einen modischen Look, sondern auch auf einen gewissen Tragekomfort. JOOP! Women wird auch in den kommenden Saisons daran festhalten und sich modern und zeitgemäß zeigen – anspruchsvoll, aber nicht abgehoben.

Zum Sommer 2021 interpretieren wir die Themen Kleider und Blusen mit frischem Schwung und bauen das Angebot aus. Jersey ist nach wie vor für uns ein Megatrend, vor allem die JOOP! Women Comfort Wear, die wir weiter entwickeln und die feminin-modische Richtung noch mehr herausstellen. Auch hier bewegen wir uns am Puls der Zeit. Denn nicht nur in Zeiten des „Stay at home“ oder Home-Office steigt die Nachfrage nach einer Lounge- Comfortwear, die modischen Anspruch und modernen Wohlfühlfaktor verbindet.

Was ist im Moment die größte Herausforderung?

Thorsten Stiebing: Unsere Verantwortung als Marke ist es, mit unseren Partnern gemeinsam gute, sinnvolle und individuelle Lösungen zu finden. Die Gespräche, die wir dazu miteinander geführt haben, stimmen uns optimistisch, dass wir diese Krise gemeinsam meistern können und es schaffen, an bisherige Erfolgen wieder anzuknüpfen.

Ratzsch: Nach dieser vielversprechenden Verkaufsphase ist es nun eines unserer wichtigsten Anliegen, unsere Handelspartner bei der Neuausrichtung der JOOP! Women Kollektion zu unterstützen, um einen erfolgreichen Verkaufsstart zu erzielen. 

Wie planen Sie die nächste Kollektion? Ihnen fehlen wichtige Abverkaufserfahrungen?

Ratzsch: Wir stehen grundsätzlich in einem guten persönlichen Kontakt und regem Austausch mit unseren Handelspartnern. Auf diesem Weg erhalten wir konstruktives Feedback und erfahren, was auf dem Markt gefragt ist. Diese Erfahrungswerte und Erkenntnisse lassen wir auch in die Planung unserer kommenden Kollektionen einfließen.

Ihre Prognose: Wo stehen wir in einem Jahr?

Stiebing: Wir werden 2021 Vollgas geben und unsere Umsätze im Wholesale nachhaltig steigern. Unsere Strategie, unser Produkt in den Vordergrund zu stellen, Inhalte zu emotionalisieren, die Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu intensivieren, Flächen zu optimieren, hat sich als richtig erwiesen. Diesen Weg werden wir fortsetzen. Last but not least peilen wir die weitere Internationalisierung der Marke an. Mit dem starken Vertrauen des Handels in die Marke und die Begehrlichkeit des Labels beim Verbraucher werden wir den Wholesale und den Retail nachhaltig beleben und konsequent ausbauen – national wie international.

Gibt es etwas, das Sie aus der Krise mitnehmen werden?

Stiebing: Die letzten Wochen und Monate haben uns auf dramatische Weise vor Augen geführt, wie schnell man „unverschuldet“ in eine Krise wie diese geraten kann, in eine Krise, die unsere gesamte Branche in Atem gehalten hat und noch halten wird. Krisenhafte Zeiten sind aber auch immer kreative Zeiten und eröffnen nachhaltige Chancen. Daher haben wir die Zeit genutzt, um intern mit Hochdruck an den neuen Kollektionen zu arbeiten.

Unsere Aufgabe ist es jetzt nun mehr denn je, durch Kreativität konsistente Kollektionen abzubilden, die verkaufsstark und zugleich interessant sind. Dabei ist die Kreativität in der Kollektion der entscheidende Faktor, um Flächen spannend zu gestalten. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, unseren Kunden neue Ideen zu präsentieren. Mit einer frischen und spannenden Sommer-Kollektion, die für ein positives Lebensgefühl und eine sommerliche Leichtigkeit steht, verbreiten wir Optimismus und wollen unsere Kunden wieder zum Kauf anregen.

Zudem haben wir die Zeit auch dazu genutzt, um unsere digitalen Prozesse zu optimieren. Durch Corona bekommt die Digitalisierung einen zusätzlichen Schub, so dass wir mehr denn je auf unsere digitalen Systeme setzen und diese weiter entwickeln. Bei JOOP! arbeiten wir bereits seit einigen Order-Saisons mit einem digitalen Ordertool, welches sich schon sehr gut bei unseren Kunden etabliert hat. Hier arbeiten wir verstärkt auch daran, unseren Content auf allen digitalen Kanälen zu emotionalisieren.

Ratzsch: Erfahren haben wir nun vor allem auch, wie wertvoll der Zusammenhalt im Team einerseits und andererseits bei und mit unseren Kunden ist. Man wächst stärker zusammen, hat ein offenes Ohr für die Bedürfnisse und Nöte des anderen, unterstützt und motiviert sich gegenseitig. Dies gibt ein Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit in einer Zeit, in der vieles ungewiss und „distanziert“ erscheint. Wenn uns das nach der Krise in diesem Maße erhalten bleibt, sind wir überzeugt, dass wir noch ganz andere Potenziale gemeinsam ausschöpfen können.

“Den einen typischen Kunden gibt es nicht”

Wie verändert Covid 19 die Modebranche? Wird die Mode bewusster? Werden die Menschen weniger, aber nachhaltiger konsumieren? Kommt es mit weniger Kollektionen und Lieferterminen zur Entschleunigung? Wo bleibt die Leichtigkeit? Für das Fashion Council Germany habe ich im Rahmen der E-Talk-Serie #FCGVOICES mit Schmuck- und Accessoires-Designerin Gabriele Frantzen, Fashion Consultant Julian Daynov und Björn Kubeja von Working title gesprochen. Die vollständige Diskussion gibt hier.

Hier die wichtigsten Statements im Überblick:

-Es ist kontinuierlich eine Unsicherheit und ein Chaos. Diese Erfahrung ist neu und macht es für uns alle schwierig. Julian Daynov

-Wenn man nicht mehr reisen kann, ist es umso wichtiger, mit seinen Kunden in Kontakt zu bleiben. Gabriele Frantzen

-Den typischen Kunden gibt es nicht. Es gibt auch nach Corona Kunden, die vor den Fast Fashion-Ketten Schlange stehen, wie man jetzt schon sieht. Unsere Kundin betrachtet ein Teil als Investment. Beides ist ok. Björn Kubeja

-Kein Kunde gibt sich heute mehr mit einer Sommer- und einer Winterkollektion zufrieden. Er will nonstop Neuigkeiten auf der Fläche sehen. Wenn es ein halbes Jahr keine Freshness gibt, gibt es keinen Grund, in einem Store zu gucken. Man darf nicht vergessen, wir leben alle vom Konsum. Julian Daynov

-Bei vielen Brands ist das Thema Nachhaltigkeit kein inhaltliches Gut, sondern wird benutzt als Etikett. Mit Sustainability wird sehr viel Mist betrieben. Für jedes neu gegründete Unternehmen sollte es heute normal sein, nachhaltig zu arbeiten. Für bestehende Firmen mit den gängigen Supply Chains im Hintergrund wird es lange dauern. Jeder muss seinen Weg finden. Björn Kubeja

-Unsere Kunden kaufen ein Teil, weil es ihnen gefällt, nicht weil es aus Bio-Baumwolle ist. Björn Kubeja

-Der Kunde entscheidet sich aus einem Grund für ein Teil: weil es ihm gefällt, und erst dann schaut er, ob es sustainable produziert ist. Julian Daynov

-Jeder Verbraucher findet seine Nische. Das ist die Freiheit, die wir haben. Als Brand ist es meine Aufgabe zu zeigen, wofür ich stehe. Wir können nicht jedem gerecht werden. Gabriele Frantzen

-Die Krise könnte eine Chance sein, eine Haltung einzunehmen. Viele Brands haben ihre Identität in den letzten Jahren verloren. Wenn man durch einen Department Store läuft, sieht man so viele austauschbare Brands. Für kleine Geschäfte könnte es eine Möglichkeit sein, nicht jedes Teil zu kaufen, dass die Großen auch im Sortiment haben. Julian Daynov

-Vielen Kunden ist bewusst geworden, wenn sie jetzt nicht den Laden in ihrer Stadt supporten, gibt es den vielleicht bald nicht mehr. Gabriele Frantzen

“Manchmal ist so eine dramatische Situation ja auch die Chance für etwas Neues”

Nicole Mohrmann betreibt in München drei hochwertige Geschäfte und einen Online-Shop. Wie sie in der Krise Instagram als perfektes Tool kennengelernt hat, wie die ersten Tage nach dem Re-Start stationär gelaufen sind und warum sie aufgehört hat in “was-wie-wenn” zu denken, verrät sie hier im Interview.

Sie sind durch Corona ja sehr aktiv auf Instagram geworden. Mittlerweile haben Ihre Geschäfte wieder geöffnet. Ihr Fazit nach den ersten Tagen des Re-Starts? 

Nicole Mohrmann: Wir können wirklich zufrieden sein. Unsere Stammkundinnen sind fast alle gekommen, ich glaube, die hatten fast ein bisschen Sehnsucht nach uns (lacht). Im Ernst, sicher ging es nicht nur ums Shoppen, sondern auch um ein Grundnachholbedürfnis nach Kommunikation. Wir pflegen mit unseren Kundinnen einen freundschaftlichen Kontakt, man muss ehrlicherweise auch sagen, dass wir es hier in München sicher mit einer anderen Kaufkraft zu tun haben als vielleicht irgendwo anders. In der Zeit des Lockdowns haben wir festgestellt, dass Instagram für uns das perfekte Tool in dieser Krise geworden ist. Wir können aktuell, persönlich, spontan und jeden Tag anders sein und in direktem Kontakt mit unseren Kunden stehen, da die Follower ja sofort auf Insta antworten, fragen oder bestellen können.

Haben Sie tatsächlich über Instagram verkauft, oder war es mehr ein Marketingtool, um mit Ihren Kunden in Kontakt zu bleiben?

Manchmal ist so eine dramatische Situation ja auch eine Chance für etwas Neues. Wir sind total überrascht von den Reaktionen und Bestellungen über Instagram. Das hätten wir nicht gedacht, und wir merken auch, dass plötzlich Frauen in unsere Läden kommen, die uns nicht kannten und über Insta auf uns aufmerksam geworden sind.

Gibt es einen Unterschied zwischen Instagram- und stationären Käufen?

Ja, schon. Auf Instagram verkauft sich ein Teil viel schneller, allerdings müssen die Preise eher moderat sein. Ein Kleid für 600 Euro auf Instagram zu verkaufen wird schwieriger.

Was suchen denn im Moment Ihre Kundinnen?

Alles, was farbig ist und Fröhlichkeit signalisiert, läuft super. Gerade jetzt in der schwierigen Situation wollen die Frauen, wenn sie etwas kaufen, etwas Besonderes haben, etwas, was sie von ihrem Alltag ablenkt.

Im Moment wird ja sehr viel über Entschleunigung gesprochen. Weniger Kollektionen, weniger Liefertermine. Was halten Sie davon?

Das wäre eine Top-Entscheidung. Es war definitiv zu viel in den letzten Saisons, und wurde immer schneller, auch durch die großen Online Stores bedingt. Ich würde das sehr begrüßen.

Haben Sie Sorge im Hinblick auf die nächsten Monate, dass Corona Ihren Kundinnen die Lust auf Mode etwas verdirbt?

Ich denke gerade nicht „was – wie – wenn“. Ich mache im Augenblick das Beste, was ich kann und kämpfe mit ganzem Herzen. Wie wir gelernt und gesehen haben, sollten wir aufhören mit großen Plänen!

Was nehmen Sie persönlich aus der Corona-Krise mit?

Dankbarkeit für die Gesundheit, Glück in einem Land wie Deutschland zu leben und unendliche Erleichterung in Indien mit dem richtigen Partner zu produzieren. Unsere Arbeiter bekommen trotz Shutdown ihr Gehalt, und Freude so tolle Mitarbeiter zu haben, die hinter mir stehen.

“Am besten ist es, jeden einzelnen Tag zu leben und immer wieder seine Entscheidungen anzupassen“

Guido Boehler ist PR-Profi. Als Inhaber einer PR- und Eventagentur muss er in der Corona-Krise Kommunikation neu definieren. Wie der Düsseldorfer Instagram und Friede-Freude-Eierkuchen-Posts beurteilt, warum es auf jedes Detail ankommt und weshalb persönliche Treffen und gemeinsame Erlebnisse nicht durch Zoom und digitale Events ersetzt werden, verrät er hier im Interview.

In Zeiten von Corona wirkt Instagram oft grottenpeinlich und hat etwas von Trivial-Trash, schreibt Matthias Horx in seinem jüngsten Artikel über Corona. Tatsächlich ist es im Moment wohl die größte Herausforderung, den richtigen Ton treffen. Wie sehen Sie das als Kommunikationsexperte?

Guido Boehler: Persönlich sehe ich das genauso. Wer sich jetzt mit der neuesten It-Bag und einem Glas Champagner fotografieren lässt, oder sich selber einfach nur inszeniert in Traumkulisse, hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Im Zuge von Corona bin ich sogar einigen Accounts entfolgt. Das hatte ich schon länger vor, nur Corona hat das bei mir beschleunigt und so habe ich den Absprung schneller geschafft.   

Beruflich unterstützen wir unsere Kunden in einem festen Rhythmus mit Posts und Stories. Hier kommt es aber genau auf‘s Detail an. Natürlich soll ein Produkt zum „Haben Wollen“ animieren, oder der Designer oder Macher sympathisch und authentisch rüberkommen. Das kann man über das richtige Bild und eben auch über den passenden Text machen. Die Follower sehen sofort, was „echt“ und was einfach nur „aufgesetzt“ ist. Auch der Bezug zur aktuellen Realität sollte nicht fehlen, der richtige Hashtag oder auch ein Kommentar zur momentanen Lage machen es authentisch. Denn: Follower und Leser lassen sich nicht mit „Friedefreude-Postings“ hinters Licht führen.

Wie schafft man im Moment den Spagat zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit?

Unsere Aufgabe ist es die Kunden zu unterstützen. Die Geschäfte waren zwar zu und werden gerade erst langsam wieder eröffnet, aber Online ist stark gewachsen. Trotzdem ersetzt das natürlich nicht das stationäre Geschäft. Hier hilft die Kommunikation mit „fein abgestimmten“ Texten, Bildern und Statements. Immer muss klar sein, dass wir zwar in dieser besonderen Situation leben, aber dass es natürlich auch weitergeht. Viele denken an die “Zeit danach”, wobei niemand so genau weiß, wann das überhaupt sein wird. Wie wir alle wissen, wird Corona uns noch länger begleiten und wir müssen das Beste daraus machen.

In den nächsten Monaten steht eine Weltwirtschaftskrise zu befürchten. Viele Menschen werden ihren Job verlieren. Bedeutet das das Ende der Influencer?

Prognosen zum heutigen Zeitpunkt sind schwer darzustellen. Am besten ist es, jeden einzelnen Tag zu leben und immer wieder seine Entscheidungen anzupassen. Langfristig planen ist momentan einfach nicht möglich. Allerdings ist gerade jetzt Werbung und Kommunikation extrem wichtig. Da sind die auch die Medien und Influencer stark gefordert ! Wie in jeder Krise wird es hier Gewinner und Verlierer geben. Änderungen, Anpassungen werden das A und O sein. Business wie wir es vor Corona kannten, wird es so schnell nicht mehr geben . 

PR ist immer von Kontakten, Treffen und Events getrieben. Inwiefern verändert die Coronakrise Ihre Arbeit als PR-Agentur?

In Zeiten wie diesen zeigt sich Stärke und Zusammenhalt. Wir merken, dass unsere langen, gut gepflegten und schon fast freundschaftlichen Kontakte zählen. Wir arbeiten sogar intensiver denn je zusammen. Das Telefon ist auch wieder wichtiger geworden, Videocalls sind super beliebt, damit man sich wenigstens auf dem Bildschirm sieht. Ich bin aber überzeugt, dass persönliche Treffen und echte gemeinsame Erlebnisse auch in Zukunft wieder wichtig werden. Es kann nicht alles durch digitale Fashion Shows, Zoom Meetings, etc ersetzt werden. Kommunikation ist etwas Schönes, und das möchte man zusammen erleben. Allerdings wird man nicht mehr für jede kleine Veranstaltung oder Meeting in den Flieger springen. 

Gibt es etwas, das Sie aus der Corona-Krise mitnehmen?

Die Angewohnheit, alles für zu selbstverständlich zu nehmen. Nichts ist sicher, auch das Unmögliche ist möglich, und nichts bleibt wie es war. Weiterhin flexibel denken, kreativ und positiv bleiben und wirklich Spaß haben an den Dingen, die man macht. Und auch ruhig mal nein sagen können, wenn alles wieder zu viel wird und nicht machbar ist.  

So viele Fragen an das neue “Normal”

Wie wird die erste Woche des Re-Starts in Bayern? Zumindest für die Geschäfte bis 800 m², die seit gestern wieder geöffnet haben? Werden die Leute in den ersten beiden Tagen wie in den anderen Bundesländern und Österreich aus der Quarantäne fliehen und shoppen gehen? Was werden sie kaufen? T-Shirts und Sweats, weil ein Ende vom Homeoffice noch in weiter Ferne liegt? Oder vielleicht lieber ein Sommerkleid, weil einem der Sinn nach einem unbeschwerten Sommer steht, auch wenn wir davon so weit entfernt sind wie Lufthansa von einem regulären Flugverkehr? Wird im Mai noch irgendjemand Cashmere-Pullover kaufen? Müssen die Läden oberhalb der 800 Quadratmeter-Grenze tatsächlich noch bis zum 20. Mai warten, bis sie ihre Türen wieder öffnen dürfen? Wie viele Geschäfte werden das überleben? Gibt das Minus von 33 Prozent einen Vorgeschmack auf das neue „Normal“? Wie lange können die Cafés und Restaurants noch durchhalten? Sind die vielen To Go-Angebote, die es in den Städten jetzt immer häufiger zu sehen gibt, nicht ein Tropfen auf den heißen Stein? Wie attraktiv sind die Innenstädte, wenn nur jedes fünfte Geschäft geöffnet hat? Wie viel Spaß macht ein Einkaufsbummel, wenn man mit Maske in der Schlange vor den Läden auf Einlass wartet und nicht mal das Gespräch mit den anderen Mitwartenden Spaß macht, weil die Maske deutlich macht, dass wir uns nicht in einem schlechten Science Fiction-Film befinden, der nach 90 Minuten zu Ende ist? Was passiert, wenn die Menschen realisieren, dass sie am Monatsende deutlich weniger Geld auf dem Konto wegen Kurzarbeit oder Verdienstausfall haben? Wie viele werden sich Mode überhaupt noch leisten können? Und diejenigen, die wirtschaftlich nicht betroffen sind, werden sie noch Klamotten kaufen, wenn man weder in Urlaub fahren noch ausgehen kann? Oder kaufen sie gerade deshalb etwas Schönes, um sich etwas Gutes zu tun? Wer braucht in diesem Jahr noch ein neues Anlasskleid, wenn es keine Hochzeiten, Parties, Filmfestspiele oder Familienfeiern mehr gibt? Warum einen neuen Anzug kaufen, wenn es weder Anlässe noch Büro-Meetings gibt? Werden die Menschen weniger, dafür bewusster konsumieren? Werden sie mehr in Qualität investieren? Wird Nachhaltigkeit durch Corona nochmal einen Push bekommen? Was passiert mit dem Luxusmarkt? Werden gehypte Labels wie Gucci, Balenciaga oder Supreme als Marketing-leere Luftblasen auffliegen? Werden dafür Marken wie Hermès und Bottega Veneta profitieren? Was wird wichtiger, Marke oder Produkt? Werden die Menschen in Klassiker investieren? Oder wollen sie lieber ein fröhliches Sommerkleid anstelle Ugly Sneaker? Warum gibt es nicht mehr deutsche Modeunternehmen wie Mey und Eterna, die Masken produzieren und damit einen Beitrag für das Wohl der Gesellschaft leisten? Wie schaffen die Kollektionen in der nächsten Orderrunde den Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Ablenkung? Wie geht es weiter mit Social Media? Warum erscheinen die Posts vieler Influencer #takemeback2019 mit Champagner auf der Party in Ibiza plötzlich bizarr und sinnentleert? Was wird aus den Zeitschriften, wenn keiner mehr eine Anzeige schalten kann oder will? Wird Corona die Sehnsucht nach Vintage und Tauschbörsen beflügeln? Oder wird es eine Do it yourself-Bewegung geben, wie Trendforscherin Li Edelkoort vermutet? Heißt das, dass die Menschen sich ihre Kleider dann wieder selber nähen? Werden dann Nähkurse wie Pilze aus dem Boden schießen? Wie geht es weiter mit den Modenschauen, wenn es Paris, Mailand, London und New York in diesem Herbst nicht geben wird? Wie werden die großen Luxusmarken ihre umsatzstarken Cruise-Kollektionen künftig präsentieren, wenn keine Reisen mehr nach Shanghai, Tokio und Singapur möglich sind? Werden wir womöglich feststellen, dass es auch ohne so viel „Show“ geht? Was machen Zara, Mango und H & M, wenn das Prinzip Fast Fashion in Frage gestellt wird? Wie wird die deutsche Modeindustrie ihre Kollektionen entwerfen, wenn es keine Info-Reisen und Store-Checks mehr gibt? Bedeutet die Initiative „buy local“, dass wir mit der Globalisierung am Ende sind? Wie können große Eigenmarkenkollektionen in Fernost realisiert werden, wenn keine Fernflüge zu den Designbüros nach Hongkong möglich sind? Ist die Diskussion um spätere, entzerrte Lieferrhythmen in der Modebranche nicht eine romantische Sehnsucht nach der heilen Konsumwelt der 80er Jahre? Ist es nicht längst so, dass andere Player das Tempo im Markt bestimmen? Glauben wir wirklich, dass ein vom Staat regulierter Schlussverkauf die Probleme unserer Branche löst? Ist das nicht genauso utopisch wie die Ansage, erst im Juli die Ware reduzieren zu wollen, wenn die Läger drücken und wochenlang kein Umsatz geflossen ist? Müssen wir uns im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und einem bewussteren Konsum nicht eingestehen, dass Weniger das neue Mehr ist? Dass es seit Jahren zu viel Ware auf zu vielen Kanälen gibt? Dass der Markt viele Labels schlichtweg nicht braucht? Bedeutet das im Umkehrschluss aber nicht auch, dass wir bereit sein müssen, auf Umsatz zu verzichten, wenn wir von einem bewussteren Konsum sprechen? Wird Angela Merkel nach der Krise noch vier Jahre länger im Amt bleiben? Oder doch Markus Söder der neue Kanzlerkandidat? Hat Armin Laschet nach seinem unsouveränen Auftritt bei Anne Will sich aus dem Rennen geschossen? Wird nach Corona das solidarische Wir-Gefühl bleiben? Oder kippt die Stimmung mit jedem Tag mehr, der den Ernst der wirtschaftlichen Lage deutlich macht? Wird noch ein einziger Angestellter nach Corona im Homeoffice bleiben wollen? Und last but not least: Wird Covid 19 als ein positiver Effekt Donald Trump zu Fall bringen?

“Wir plädieren für kleinere, konzentriertere Kollektionen”

Allude ist bei Cashmere eine feste Größe in den Sortimenten. Allude-Chefin Andrea Karg über die aktuelle Situation, wie die Stimmung bei ihren Produzenten in China ist und warum sie ein anderes Saisontiming für längst überfällig hält.

Was sind aktuell die brisantesten Themen in den Gesprächen mit Ihren Kunden, Partnern und Lieferanten?

Andrea Karg: Wir als kleinerer mittelständischer Betrieb auf der Industrieseite versuchen alles in unserer Macht stehende, um auch in diesen Zeiten unsere Kunden zu unterstützen. Durch das langjährige Vertrauensverhältnis haben wir bislang dankbarerweise keine wirklichen signifikanten Einschränkungen von unseren Kunden und Lieferanten erfahren müssen.

Planen Sie aufgrund der aktuellen Situation eine kleinere Kollektion oder weniger Liefertermine?

Wir sind der Überzeugung, dass jede Kollektion absolut durchdacht sein muss. Für uns steht die Perfektion im Mittelpunkt unseres Handelns, deshalb plädieren wir für eine kleinere, konzentriertere Kollektion.

Wie sieht es mit der aktuellen Herbstlieferung aus? Kommt diese denn pünktlich? Bzw. gibt es Diskussionen mit Händlern wegen Stornierungen? 

Bislang läuft alles planmäßig. Stornierungen gab es bislang nur sehr, sehr wenige.  Aber natürlich baten uns einige Kunden um eine Reduzierung des Ordervolumens.

Allude produziert sein Cashmere ja in China. Wie ist dort die Stimmung?

Das ist schwer einzuschätzen, da es im Moment ja nicht möglich ist, dorthin zu reisen. Bei Hörensagen sind wir immer skeptisch. Am Telefon bzw. per Video Chat spüre und sehe ich aber eine leichte Entspannung bei unseren Partnern.

Wie erstellt man eine neue Kollektion in diesen Zeiten, ohne Inforeisen und Storechecks?

Seit ein paar Saisonen richten wir unseren Fokus auf unser Corebusiness: Cashmere & Lifestyle. Dies gilt  auch für die Frühjahrskollektion 2021. Um dieser Erwartungshaltung zu entsprechen, arbeiten wir mit all unserer Energie am perfekten Produkt und versuchen damit, den Handel zu unterstützen.

Was halten Sie von der Diskussion um ein anderes Saisontiming? Also bedarfgerechte Lieferung zu späteren Terminen?

Dies ist ein längst überfälliger Schritt. Es ist doch ein Irrsinn – und gegen jedes Wetter – im November reduzierte Winterware und im Mai reduzierte Sommerware zu kaufen. Ich bin leider aber skeptisch, solange der Warendruck so groß ist.