Experimentell und eklektisch. Spannung durch das Spiel mit Stoffen und Silhouetten. Seit zehn Jahren spielt die deutsche Marke Odeeh im internationalen Luxusmarkt mit. Als das Coronavirus in Europa Fahrt aufnimmt, verkaufen die Odeeh-Macher Jörg Ehrlich und Otto Drögsler die Kollektion in ihrem Showroom in Paris. Jörg Ehrlich über Konzentration, Entschleunigung und warum wir jetzt nicht alles hinterfragen sollten.
Giorgio Armani hat gerade für eine Entschleunigung der Mode plädiert. Zu viele Kollektionen, zu viele Liefertermine. Hat er recht? Oder ist es ein einsames Wunschkonzert?
Jörg Ehrlich: Schauen wir mal ob er recht hat, wir sind uns da nicht so sicher. Er liefert sicherlich einen wertvollen Gedanken. Allerdings sollten wir alle jetzt nicht allzu vernünftig werden und den Mantel erst liefern, wenn´s draußen kalt wird. Was wir tun, lebt von der Unvernunft, immer auch von dem Gefühl: Das will ich haben! Wir bzw. unsere Kunden brauchen ja nichts, um zu überleben. Es geht letztlich immer um das sechste Kleid im Schrank, den vierten Mantel oder die zwölfte Hose. Und so lange es Kunden gibt, die sich im Januar ein sommerlicheres Kleid kaufen, weil sie sich auf den Sommer freuen wollen oder in die Sonne fahren, ist es legitim, es dann auch anzubieten. Ab wann braucht es die Osterhasen im Supermarkt? Eigentlich erst die Woche vor Ostern, oder? In gewisser Weise werden wir uns mit der notwendigen Unvernunft unserer Kunden arrangieren müssen. So isses halt. Sie hält unser Business am Leben.
Kann sich das System vielleicht trotzdem nach hinten korrigieren, etwas zurechtrücken?
Ja, sicher ein wenig schon. Vielleicht. Aber nur nicht zu viel.
Sie arbeiten gerade an der Spring 2021-Kollektion. Haben Sie im Zuge der aktuellen Situation Veränderungen vorgenommen?
Der Shutdown gibt uns mehr Zeit, alles mit etwas mehr Reflexion anzugehen. Unsere italienischen Partner können ja auch nicht weiter, und wir warten gerade auf Farbabschläge, Farbandrucke der neuen Prints, etc. Zwangspause für alle sozusagen. Und auch die Chance, über manches einmal nicht nur eine Nacht zu schlafen, sondern drei. Mit Abstand drauf schauen. Die Kollektion wird etwas kleiner aus heutiger Sicht. Sicherlich etwas fokussierter. Aber das wird bei allen Kollegen so sein. Konzentrierter wird erst mal „das neue Normal“. Hoffentlich wird’s nicht allzu vernünftig. Und wahrscheinlich ist die Kollektion dann immer noch zu groß, weil wir uns manchmal nicht entscheiden wollen. Das alles ist dann auch gut so.
Wird Luxusmode es durch Corona und die wirtschaftlichen Einbußen schwerer haben in den nächsten Monaten?
Das kommt darauf, was wir darunter verstehen. Wenn es um den typischen Label- Luxus geht, der sich ja mittlerweile zum großen Teil in Preisbereichen abspielt, die nicht mehr nachvollziehbar sind: Ja, können wir uns vorstellen. Und das wäre auch irgendwie ganz gut. Da stimmt einfach vieles nicht mehr. Wenn es um die handwerkliche, eher manufakturelle, die limitierte Auffassung von Luxus geht: vielleicht, aber hoffentlich nicht.
Li Edelkoort hat das Jahrhundert des Handwerks ausgerufen. Könnte davon eine Kollektion wie Odeeh profitieren?
Ein „Jahrhundert des Handwerks“? Na ja, das ist zu absolut formuliert. Die Antwort lautet also: eher nein, und das muss auch nicht sein. Echtes Handwerk ist toll, hat aber seine quantitativen Grenzen. Uns geht es letztlich um die Balance von Handwerk und industrieller Methodik. Gedanken, mit denen wir vor zehn Jahren mit ODEEH begonnen haben: So wenig interne Strukturen wie nötig, eine DNA, die sich permanent, auch radikal verändern soll. Atelierarbeit, Courage, auch im größer werden klein denken, das Produkt steht im Focus, eine nachvollziehbare Preis-Leistungs-Dimension, Made in Germany, Made in Europe. All das sind Schwerpunkte , die uns immer geholfen haben und uns immer noch gut tun.
Eine handwerkliche Ästhetik wird mehr Raum bekommen, das glauben wir sicher. Der Kuchen aus der Großbäckerei, der ausschaut, wie zuhause gebacken. Das Kleid mit ein paar scheinbar handwerklichen Details. Der manufakturell inspirierte „kleine Fehler“ als geplantes Design-Detail. All das wird noch stärker werden. Manufaktureller Touch vom Fließband, das wird kommen.
Könnten in diesem Zusammenhang lokale Brands und Stores möglicherweise sogar einen Aufschwung erfahren?
Das glauben wir ganz sicher. Aber auch hier ist die Balance wichtig. Wir wollen alle ein Europa ohne Grenzen, wir brauchen einen globalen Markt und wollen alle auch international sichtbar sein. Also müssen wir auch den lokalen Radius verlassen, sonst wird das nichts. Nur „local“ ist nicht genug. Und nur alleine dafür wollen wir nicht stehen, auch wenn das Business in Deutschland immer unser Fokus bei ODEEH sein wird. Man stelle sich vor, alle auf der Welt würden jetzt nur noch „local“ werden: Das wäre ja furchtbar.
Was ist die größte Herausforderung in den nächsten Monaten?
Geduld haben, tolerant bleiben, lernend aus der Krise herauskommen. Offen bleiben. Nicht die falschen Schlüsse ziehen – und sicher nicht überall die Notwendigkeit sehen, dass sich alles ändern muss. Vieles läuft falsch in unserer Branche, vieles aber auch nicht. Wir haben das große Glück, in einem Bereich zu arbeiten, der Menschen idealerweise glücklich macht und der gesellschaftlich vieles bewegen kann. Nur, weil es temporär eine große medizinische Herausforderung zu stemmen gilt, sollten wir nicht alle komplett durchdrehen und hinter alles ein Fragezeichen setzen. Es ist ein ernstzunehmender Virus, der uns gerade blockiert. Nicht mehr und nicht weniger. Letztlich werden wir immer mit der Tatsache klar kommen müssen, dass wir etwas produzieren, was niemand in allererster Linie zum Überleben braucht. Um gut zu leben, braucht sie oder er es aber schon.