Birgit Wissemann ist Inhaberin der gleichnamigem Agentur. Nach dem sie viele Jahre internationale Designermarken vertrieben hat, setzt sie heute bewusst auf modische Nischenkollektionen mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis. Wie Corona ihre Arbeit beeinflusst, was sie von dem enormen Warendruck hält und wie sich auf die nächste Order vorbereitet, verrät die Düsseldorferin hier im Interview.
Welches sind derzeit die brisantesten Themen aus Ihrer Sicht als Vertriebsagentur?
Birgit Wissemann: Anfangs sind natürlich sehr viele Fragen auf uns eingeprasselt, aber mittlerweile ist aus den meisten Themen die Brisanz schon wieder ein bisschen raus. Wir haben uns mit Lieferanten wie Kunden der neuen Situation gestellt und Antworten gefunden. Wir wissen heute, dass es keine Stornierungswelle für Herbst 2020 gibt. All meine Brands können die georderte Ware für diesen Herbst sowohl produzieren als auch liefern. Es wurden auch nicht alle Zahlungen eingestellt, nicht zuletzt, weil es schnelle Hilfen gibt – wenn auch, wie es im Moment aussieht, leider nicht für alle.
Macht Sie das nervös?
Mich beschäftigen natürlich zwei Dinge besonders: Erstens, wann es weitergehen wird – und wie? Und schließlich der auch menschlich sensibelste Punkt: Wer wird es nicht schaffen? Darauf haben weder ich noch andere jetzt verlässlich Antworten.
Erst später wird sich dann unter anderem noch die Frage stellen, ob sich beispielsweise der Lieferrhythmus und damit auch der Orderrhythmus künftig ändern werden? Diese Themen sind für mich aber eher positiv belegt, zumal ich da einen großen Konsens und die Chance auf Veränderung sehe.
Wie werden Sie die nächste Saison bestreiten, wenn Messen nicht stattfinden werden, so wie es im Moment aussieht?
Meinen Showroom in Düsseldorf betreibe ich ganzjährig, dadurch bin ich weniger von Messen abhängig. Selbst wenn nicht alle Kunden die Möglichkeit in Anspruch nehmen, verteilt über einen Zeitraum von sechs Wochen Einzeltermine wahrzunehmen, kann ich wie schon in der Vergangenheit Kunden vor Ort besuchen. Aufträge lassen sich auch gut über Fotos, Video, Linesheets oder b2b machen. Da werde ich so gut wie möglich individuell auf meine Kunden eingehen.
Was ist die größte Herausforderung aktuell?
Nicht zu wissen, was morgen ist. Als Agentin bin ich ganzjährig durchgetaktet, jeder Monat ist verplant. Seit über 25 Jahren lebe ich diesen Rhythmus, und es ist wirklich herausfordernd, nicht zu wissen, wann und wie es weitergeht. Aber so geht es ja uns allen.
Im Moment sprechen alle von buy local. Ist das ein kurzfristiges Phänomen von Corona, oder wird sich möglicherweise langfristig was ändern in die Richtung, dass lokale Geschäfte und Brands einen Aufschwung erfahren?
Die Branche erlebt gerade eine wahre Solidaritätswelle! Ich glaube schon, dass nun viel mehr Menschen bewusst geworden ist, wie dankbar wir alle für das vielfältige Angebot in der eigenen Stadt sein können und wie bereichernd die persönlichen Kontakte sind, die dadurch entstehen.
Wenn wir länger mit den Beschränkungen leben werden, könnte sich das sogar noch festigen. Dazu kommt: Viele meiner Kunden haben sehr schnell und viel intensiver Social Media genutzt als vor dem Shutdown. Es wurde zwar improvisiert, aber meist sehr persönlich und authentisch Ware über Instagram, Whatsapp, Telefon etc. angeboten. Und was soll man sagen? Es funktioniert! Das motiviert meine Kunden unübersehbar, und sie erleben auch ihre Kundinnen nochmal ganz neu. Der persönliche Kontakt, das ist der Schlüssel.
Was halten Sie von der Diskussion um nach hinten rückende Liefertermine?
Sehr viel! Die Liefer-und Reduzierungsrhythmen sind stets ein wichtiger Punkt für mich bei der Auswahl meiner Labels. Zu viele Liefertermine halte ich für unnötig. Und angefangen beim Designer bis hin zum Konsumenten: Alle leiden unter dem Warendruck. Das ist eine totale Überforderung, auch für die Umwelt. Es werden zudem falsche Signale in den Markt gesendet, wenn Reduzierungen von Sommerware im Mai beginnen. Da spielt eine ganze Branche mit ihrer Glaubwürdigkeit und sorgt so selbst für den Werteverfall der Ware, von der wir alle leben.
Hat Corona Auswirkungen auf Ihre Arbeit als Agentur-Inhaberin?
Ja, auf jeden Fall. Eigentlich wäre ich seit gestern auf Tour, geplant war eine zweiwöchige Kundenreise in den Norden. Die musste ich nun auf unbestimmte Zeit verschieben und sitze jetzt stattdessen wie fast alle im Home Office. Viele Abläufe sind ins Stocken geraten, ich schaue zurzeit nur von Tag zu Tag.
Das bedeutet: Flexibel bleiben, sich anpassen und einen kühlen Kopf bewahren – was nicht immer so einfach ist. Ich musste alle bereits gebuchten Leute für die Messen erstmal vertrösten, und ab dem 1. August wollte ich sogar jemanden in Vollzeit einzustellen. Das habe ich auf Eis gelegt. Nicht zu wissen, wie und wann es für uns alle weitergeht, belastet mich. Daher suche ich den Kontakt und führe viele, sehr lange und intensive Gespräche. Mit meinen Kunden, mit meinen Labels, mit Kollegen und meinen Mitarbeiterinnen. Alle nehmen sich dafür gerade mehr Zeit und haben auch erkennbar Bedarf, sehr offen zu sprechen. Dadurch entsteht noch mal eine ganz neue Nähe. Ich erfahre viel Wertschätzung, und das beglückt mich wiederum richtig.
