“Wir verstehen die Zeit als eine Chance, Kunden über unseren Online-Shop und eine gute User-Experience an uns zu binden”

Modehaus Schnitzler ist seit 125 Jahren ein Familienunternehmen in Münster. Das Sortiment umfasst DOB, HAKA und Kindermode. Inhaber Andreas Weitkamp über die Lernkurve mit Social Media, was er von der Entschleunigungsdiskussion in der Mode hält und warum er an Qualität und Marke festhält.

Vier Wochen Shutdown heißt vier Wochen Laden zu. Wie geht es Ihnen damit?

Andreas Weitkamp: Wir waren wohl verhältnismäßig gut auf die Situation vorbereitet, da wir sehr gute Kontakte zu unseren italienischen Lieferanten pflegen und klar war, dass Corona auch an uns nicht spurlos vorübergehen wird. Insofern haben wir schon in einem frühen Stadium verschiedene Eskalationsstufen durchgespielt. In dem Moment, als der Shutdown auch in Nordrhein-Westfalen kam, haben wir sofort alle Mitarbeiter, die mit den Programmen zur Bildbearbeitung und Texten umgehen können, dem Online-Team zugeordnet und damit das Team verdoppelt, um dort direkt in den Vollgas-Modus zu gehen.

Welche Social Media-Strategie fahren Sie dabei?

In der ersten Woche haben wir uns erst einmal um unsere Mitarbeiter gekümmert. Als die Frage aufkam, was ihnen am meisten fehlt, war schnell klar, dass es die Kunden und Kollegen waren. Im ersten Schritt ging es ausschließlich um Zusammenhalt. So kamen wir auf die Idee mit einer virtuellen Kaffeepause. Danach haben wir begonnen, unseren Mitarbeitern zum Geburtstag per Social Media zu gratulieren. Wir haben zunächst bewusst das Gegenteil von aktivem Verkaufen gemacht und das Kollektiv gesucht, ganz bewusst nicht ans Verkaufen gedacht. Das Wichtigste (und gleichzeitig das Schwierigste) war und ist, dass man total authentisch bleibt. In der dann folgenden Phase haben wir angefangen, über Bewegtbild und neue Warenzusammenstellung (Stichwort: neuer Business Look im Home office!) erste Kauf-Impulse zu setzen. Parallel dazu stellen wir jetzt, auch sehr privat formuliert, unsere Führungskräfte vor…die Texte zu jedem schreibe ich abends selbst.

Und gab es auch Synergieffekte mit Ihrem Online-Shop?

Tatsächlich läuft online seitdem sehr gut. Die steigenden Followerzahlen auf Social Media haben sicher ihren Teil dazu beigetragen. Instagram und auch mit Abstrichen Facebook sind das Schaufenster der Zukunft. Vor einigen Wochen hatten wir an einem Montag vielleicht fünfzehn Bestellungen über unseren Online-Shop, jetzt sind es um die 60. Am Osterwochenende hatten wir deutlich über 100, die wir bearbeitet haben.

Parallel haben wir ein Mailing an unsere Stammkunden verschickt, wobei wir hier merken, dass unsere treuen Stammkunden eher mit uns telefonieren wollen. Allein am Ostersamstag hatten wir 55 Anrufe, die gerne per Facetime oder ähnlichem beraten werden wollten. Dies machen wir jetzt auch schon seit gut zehn Tagen, und auch das wird sehr gut angenommen.

Interessant, ich hätte eher erwartet, dass die Menschen jetzt andere Sorgen als Shoppen haben.

Das hat mich tatsächlich auch überrascht. Besonders war der Samstag vor dem Lockdown. Da haben wir in der HAKA unser Vorjahr geschafft, in der DOB deutlich nicht. Das spricht tatsächlich dafür, dass unsere Kundinnen erst mal gucken mussten, wie sie ihren Alltag organisieren, ohne Schule, Kinderbetreuung, dafür jetzt mit Kindern im Homeoffice – die Männer waren da offenbar nicht so von berührt. Ich weiß jetzt nicht, wie ich das finden soll (lacht).

Inzwischen ist Shoppen vielleicht ein Stück Belohnung oder Ablenkung in all dem Trubel. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir momentan, also nur so lange das Geschäft geschlossen ist, einen Rabattcode online eingeräumt haben, der sich an die Nachlässe von unseren Mitbewerbern „anlehnt“. Wir verstehen die Zeit gerade als eine große Chance, Kunden über unseren Online Shop und eine gute User-Experience an uns zu binden. Insofern ist die momentane Situation auch eine tolle Chance, die Zeit für Werbung für uns zu nutzen. Ich bin ja immer dafür, die Chancen zu sehen und Dinge auszuprobieren.

Und was planen Sie, wenn Sie wiedereröffnen dürfen?

Unser Ziel ist, bis Ende Juli ohne Reduzierungen zu agieren. Wir werden sehen, ob das durchzuhalten ist. Gegenüber von unserem Geschäft ist AppelrathCüpper, die werden aufgrund ihrer aktuellen Situation eventuell schon bei der Wiedereröffnung mit Reduzierungen winken.

Viele sprechen jetzt von Entschleunigung mit weniger Kollektionen, späteren Lieferterminen. Was halten Sie von dieser Diskussion?

Prinzipiell spricht nichts dagegen, in Maßen. Wir fänden es gut, wenn Entschleunigung kleinere Kollektionen, straffere Liefertermine, kompaktere Orderreisen und eine deutliche Verschiebung der regulären Saison bedeutet. In Sachen Stilistik halten wir es aber mit Jörg Ehrlich von Odeeh, dass wir jetzt auch nicht ausschließlich rational sein dürfen. Mode lebt von Unvernunft, von Emotion – dies sollten wir uns unbedingt erhalten. Aber zehn Liefertermine braucht niemand mehr. Mehr Kreativität, mehr Handwerk, mehr Partnerschaft – das alles auf maximal vier Liefertermine verteilt – das wäre ein guter Schritt für unsere Branche.

Wie sieht es für Herbst aus? Haben Sie Ihre Order nachträglich reduziert, soweit möglich?

Wir stornieren nichts. Das geht gar nicht, wenn man Partnerschaft leben will. Aber wir erwarten im Gegenzug partnerschaftliche Angebote, Unterstützungen, etc. Das kann alles sein, aber wir lassen auch jetzt keinen Lieferanten im Regen stehen. Und das erwarten wir auch von der anderen Seite. Außerdem gehe ich davon aus, dass einiges gar nicht produziert werden kann – wir werden also sowieso weniger Ware bekommen als geordert.

Und wie gehen Sie in die bevorstehende Einkaufsrunde für Frühjahr/Sommer 2021?

Im Moment gehe ich davon aus, dass wir nicht vor Juli mit der Order beginnen werden. Die Pre-Spring-Kollektionen werden weitgehend entfallen. Dorothee Schumacher hat schon angekündigt, dass sie Pre und Main zusammenlegt. Das machen sicher viele andere Firmen ebenso. Alles andere wäre auch Unsinn. Wie wir das mit unseren italienischen Lieferanten wie beispielsweise Moncler und Etro machen werden, ist mir im Moment noch nicht klar. Da muss man jetzt sicher über digitale Ordermöglichkeiten reden. Die Möglichkeit eines Vertrauenslimit steht auch im Raum, das geht aber natürlich nur sehr begrenzt, wenn man so individuell arbeitet wie wir. Es geht aber nichts über ein persönliches Treffen. Das kann dann gerne in temporären Showrooms an den großen deutschen Standorten sein, wenn Mailand oder Paris nicht darstellbar sind. Düsseldorf und München stehen sowieso auf unserem Plan – ich kann mir aber auch sehr gut zwei extra Tage in Berlin vorstellen, wo größere Showrooms sicher mit der Messestruktur ideal zu verbinden wären.

Haben Sie nicht Sorge, dass die Menschen in der nächsten Zeit schlicht und ergreifend kein Nerv bzw. kein Geld für Klamotten haben werden?

Wichtig ist meiner Meinung nach eins: Gerade jetzt authentisch bleiben, seiner Philosophie absolut treu bleiben. Wir merken jetzt schon kleine Schimmer von Kauflust, sowohl online als auch in der 1 : 1 Beratung über Facetime oder ähnlichem. Unser Telefon im Laden ist jeden Tag besetzt, um Kundenwünsche aufzunehmen und Lieferungen zu organisieren. Innerhalb Münsters übrigens alles per Fahrrad, emmissionsfrei und mit Lieferung am selben Tag. Luxusmode ohne Handwerk, reine Marketing-Produkte werden sicher verlieren – das war aber noch nie unser Segment. Insofern tangiert uns das nicht so sehr. Wir werden weiterhin an der Philosophie unseres Hauses festhalten: Qualität und Marke!

Wovor haben Sie am meisten Respekt in den nächsten Wochen?

Ich glaube, das Schlimmste haben wir schon hinter uns (lacht). Im Ernst. Die Tage vor dem Shutdown, das große Thema Kurzarbeit, die Mitarbeiter in dieser schweren Phase mitzunehmen, für jeden individuelle Lösungen zu finden, dazu unser Online Team von heute auf morgen an fordernde Strukturen anzupassen, mit Vermietern zu verhandeln, sich selbst neu zu organisieren – das war ein Blindflug für uns alle, und wir wissen erst in zwei, vier oder sechs Monaten, ob wir richtig entschieden haben. Ab sofort müssen wir gucken, wie wir den Laden wieder in Schwung kriegen, wenn wir wiedereröffnen dürfen. Das wird sicher herausfordernd. Natürlich haben wir einen großen wirtschaftlichen Schaden, den wir dieses Jahr nicht mehr aufholen können, trotzdem denke und hoffe ich, dass wir da ganz gut rauskommen werden. Jetzt ist die Zeit, etwas auszuprobieren und nach vorne zu gucken.

Published by spielerweekly

Mehr als schöner Schein. spielerweekly berichtet über Mode, Trends, Kreative und Sortimente aus der Sicht all derer, die Mode nicht nur als Entertainment sehen, sondern damit ihr Geld verdienen möchten.

One thought on ““Wir verstehen die Zeit als eine Chance, Kunden über unseren Online-Shop und eine gute User-Experience an uns zu binden”

  1. Tolles Interview und ein positives Beispiel dafür, dass gerade eine Krisensituation eine Chance für eine innovative Geschäftsidee ist. Die Dynamik der UX hat einen enormen Anteil am Überlebenswillen eines Unternehmens. Toller Artikel.

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