„2025 – so arbeiten wir in der Zukunft“, so heißt der vielversprechende Titel der Berliner Gespräche, eine Veranstaltung, zu der die Bielefelder Unternehmensberatung Hachmeister + Partner rund 200 Fachleute aus Handel und Industrie ins Hotel Adlon nach Berlin eingeladen hat. Es dauert keine zwei Minuten, bis einem bei dem ersten Vortrag schonungslos vor Augen geführt wird, dass in den nächsten Jahren kein Stein auf dem anderen bleibt und so ziemlich alles auf den Kopf gestellt wird. Auch wenn man das im Prinzip schon vorher wusste, wird einem doch in dem Vortrag von Trendforscher Sven Gábor Jánszky klar, dass die digitale Entwicklung wie ein TGV durch die Lande rast und dabei erst so richtig Fahrt aufnimmt. Tapeten, die leuchten. Fernbedienungen, in die man reinspricht statt zu zappen, Apps, die einem per Ampelsystem sagen, ob ein Produkt zu einem passt oder nicht. „Braucht keiner, kommt trotzdem“, so seine trockene Theorie.
Auch wenn manche seiner Thesen extrem sind – zum Beispiel, dass in zehn Jahren die Menschen bei einer Kaufentscheidung nicht mehr dem Urteil anderer Menschen, sondern dem ihres Handys vertrauen, skizziert er doch ein nachvollziehbares Bild von der Zukunft. Sein Appell: „Ob man dies als Gefahr oder Chance sieht, liegt in Ihrem Kopf.“
Dass die digitale Entwicklung noch gravierende strukturelle und gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringt, ist jedem bewusst. Und doch wird an diesem Tag in Berlin nochmal deutlich, dass die Digitalisierung in all ihren Facetten und Folgen nicht ansatzweise greifbar ist.
Da sitzen alle im selben Boot, die stationären Geschäfte, die traditionellen Hersteller, die Modemagazine. So wie das Internet die Medienlandschaft und den stationären Einzelhandel verändert hat, hat das Netz schon längst Auswirkungen auf den gesamten Modeprozess: Der Einfluss eines Bloggers ist heute oft größer als der eines Modejournalisten, die Kraft einer Heidi Klum, die ein Versace-Kleid auf dem roten Teppich trägt, stärker als die eines Marketingbudgets in Millionenhöhe.
Dank des Internets kann sich jeder selbst zum Star ausrufen, oder sich mit seinen Vorbildern und Lieblingslabels via Facebook, Twitter und Instagram connecten. Die Schauspielerin Olivia Palermo und Bloggerin Miroslava Duma sind die neuen Stil-Ikonen, genauso aber auch der Serienstar Lena Dunham oder Herzogin Kate, deren neueste Looks innerhalb weniger Stunden über alle Plattformen und Social Media-Kanäle kommuniziert und entsprechend kopiert werden.
Auf den jüngsten Designerschauen hatte man mitunter den Eindruck, dass die Show vor oder nach der Show mindestens genauso wichtig ist. Justin O‘ Shea, Chefeinkäufer von mytheresa, und seine Freundin Veronika Heilbrunner legten nach der Valentino-Show ein Tänzchen in den Tuilerien hin. Mit ihren Posts auf Instagram erzielen sie regelmäßig über 1000 Likes. Das gehört heute zum Geschäft.
Und wenn Heilbrunner, bislang Stylistin bei Harper’s Bazaar und mytheresa, jetzt mit Ex-Vogue-Online-Redakteurin Julia Knolle ein neues Web-Magazin startet, stellt sich natürlich die Frage, wie das mit online und Print weitergeht. Wie viele Chefredakteurinnen der Print-Magazine in fünf Jahren noch in der ersten Reihe sitzen, wenn die Auflagen immer weiter verlieren? Haben dann diejenigen das Sagen, die den Erfolg einer Show an der Anzahl der Likes auf Instagram festmachen? Wie viele Marken sind dann überhaupt noch auf dem Markt? Wie viele Geschäfte müssen schließen, wenn Mode immer noch mehr im Netz gekauft wird?
Vermutlich werden die überleben, die sich mit dem auseinandersetzen, was die Kunden bzw ihre Leserinnen möchten.
Wenn man bedenkt, dass das britische Online-Portal Net-a-Porter ein hochwertiges Print-Magazin herausgibt, muss man über die Zukunft von Print keine Grundsatzdiskussion mehr führen. Das gilt auch für begehrliche Produkte: In den Chanel-Boutiquen in Paris ging es zu wie auf dem Rummelplatz. Dort wurden ohne mit der Wimper zu zucken 4000 Euro für eine Tasche mittleren Formats ausgegeben.
Was die Kunden möchten, das war und bleibt Dreh- und Angelpunkt des Geschäfts. Christoph Rosa, CBR-Chef hat auf den Berliner Gesprächen offen zugegeben: „Wir haben eine Zeit lang den Bezug zu unserer Kundin verloren. Die hat sich währenddessen weiterentwickelt.“ Der Unterschied zwischen Pure Playern und den traditionellen Anbietern besteht für ihn darin, dass Google, Amazon & Co permanent überlegen, wie sie ihren Kunden das Leben leichter machen können. „Wir denken darüber nach, wie wir unseren Kunden 8% mehr verkaufen können.“ Ein interessanter Ansatz, über den es sich lohnt nachzudenken.
Es ist traurig wie sich die Medienlandschaft verändert hat und welche Geringschätzung Print hat. Das Wissen der Mode-Redakteure ist nicht mehr gefragt. Wer möchte sich in der schillernden Modewelt schon mit kritischen Fragen befassen? Die vielen Blogger, die sich durch die Schauen schnorren, schreiben jedenfalls nicht so einen fundierten Kommentar. Toller Artikel.
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Liebe Frau Spieler,
vielen Dank für Ihren Newsletter!!!! Er ist sehr informativ und regt zum Nachdenken an. Wir müssen uns alle mit der Weiterentwicklung beschäftigen. Ich glaube aber das war auch nie anders. “Früher war immer alles besser!” – Es wird einen starken Wandel geben, in der Wirtschaft, im Handel und vor allem was Sie auch beschreiben in der Technik. Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen und Ansätze finden wie wir diese Entwicklung für uns nutzen können. Wie wir es schaffen mit diesen Entwicklungen die Bedürfnisse und Interessen unserer Kunden zu erfüllen. Wir müssen Sie abholen, egal ob als Händler oder Lieferant. Wir müssen alle etwas tun. Ich kann Frau Fuhrmann nicht ganz zustimmen, da es sehr viele gute Blogs gibt, hinter denen auch sehr kluge Köpfe stecken. Diese Menschen sind auf einen Bedarf eingegangen und haben mit viel Mut und Kreativität die ganze Branche bewegt. – Zum Beispiel hat Natalie Massenet Gründerin von Net-a-Porter einen Bedarf erkannt (Ein sehr gutes Interview von Ihr im “PRESTIGE” Magazin – gerade ganz aktuell). Sie war damals bei “Bazar” und Ihr fiel auf das vieles was fotografiert wurde und in den Magazinen abgebildet wurde, gar nicht käuflich war. Sie hat ganz klein begonnen und hat aus dem Bedarf (hier ja auch aus dem Print) sich überlegt, das Sie den Frauen eine Plattform bieten möchte, auf der man die Bekleidung auch tatsächlich kaufen kann. Und mit der Herausgabe des Magazins (im Print) ist Sie ihrer Grundidee auch treu geblieben. – Aber ebenso ist es auch mit BOF “Business of Fashion…. ein sehr guter Blog von Imran Amen und sehr informativ, um einen globalen Einblick zu bekommen in unsere Branche. Dort beschäftigt man sich sehr wohl auch mit kritischen Themen.
Wir müssen diesen Wandel als Chance sehen – wir müssen uns gemeinsam austauschen – und uns informieren. In fünf Jahren werden es chinesische Labels hier nach Europa geschafft haben, denn was sich da tut, ist beeindruckend. So viel Mut und Neues … faszinierendes! China … wer hätte das gedacht. Mir als Lieferant könnte das auch Angst machen. Macht es aber nicht. ich finde diese Entwicklung erfrischend und staune!
Ich bin auch kein Freund von “ONLINE” …. aber da wird keiner drum rum kommen. Und der Dialog wird uns allen helfen.
Liebe Grüße,
Ihre Annika Schwieger
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