Armedangels zählt zu den erfolgreichen Labels im Sustainable-Markt. Inwiefern Nachhaltigkeit durch Corona nochmal Aufwind bekommt und warum die Globalisierung eine Lokalisierung erfährt, verrät CPO Franziska von Becker hier im Interview.
Trivial Trash und grottenpeinliches Instagram. Matthias Horx hat mit seinem Artikel “Die Welt nach Corona” mit dem Skizzieren eines neuen Wertesystems für Diskussion gesorgt. Mode mit einer neuen Ernsthaftigkeit. Ist das realistisch?
Franziska von Becker: Der Artikel hat mich zutiefst berührt, denn er skizziert mit seiner „ReGnose“ eine sehr hoffnungsvolle Zukunft – bei aller Ungewissheit, die wir ja gerade alle erleben. Für mich steckt in folgendem Absatz die stärkste Botschaft: „Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das weit in die Zukunft weist. Eine der stärksten Visionen, die das Coronavirus hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision senden uns die Satellitenbilder, die plötzlich die Industriegebiete Chinas und Italiens frei von Smog zeigen. 2020 wird der CO&sub2;-Ausstoss der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch?”
Natürlich wird die Krise uns verändern. Meine Hoffnung ist, dass wir uns wieder mehr auf wahre Werte besinnen. Wir werden verstehen, dass wir gerade unseren Planeten ruinieren, und wir als Bekleidungsindustrie gehören leider zu den Mitverursachern. Wir bei ARMEDANGELS fühlen uns aktuell umso mehr motiviert, weil wir immer fair und nachhaltig gehandelt haben und auch weiterhin handeln werden – zum Wohle der Menschen und des Planeten. Es gibt einen fairen Weg, mit dieser Krise umzugehen, anstatt einfach nur völlig unverantwortlich zu handeln. Jetzt könnte auch die Zeit kommen, langfristig etwas in der Fashion Industrie zu ändern!
Profitieren davon nachhaltige Kollektionen wie Armedangels? Bekommt das ganze Thema Sustainibility dadurch nochmal einen Schub?
Ich glaube, dass wir jetzt durch den plötzlichen Stopp, das Innehalten der Gesellschaft und der Industrie eine neue Sicht auf Nachhaltigkeit bekommen. Wir lesen leider jetzt schon von Unternehmen, die den Lockdown nicht überleben werden. Es wird zu einer Neuverteilung im Markt kommen. Aber wenn wir ehrlich sind haben wir auch schon vor der Krise immer wieder diskutiert: wie sieht die Zukunft aus? Und welche Unternehmen und Handelsstrukturen haben eine Antwort darauf. Die Krise beschleunigt hier mit voller Wucht die Entwicklung, die schon längst begonnen hat.
Ich bin überzeugt, dass Kunden Marken suchen werden, die für echte und relevante Werte stehen. Natürlich ist dann das Thema „Sustainability“, also Nachhaltigkeit in jeder Beziehung noch wichtiger. Denn ohne Nachhaltigkeit geht nichts mehr.
Was sind aktuell die Steps, an denen Sie arbeiten?
Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit: Jetzt gilt’s! Wir sehen gerade jetzt, dass es wichtig ist, zu unserem Wort zu stehen. Es ist unsere Chance, jetzt etwas in der Branche zu ändern. Und das ist gerade unser Thema, an dem wir alle im Unternehmen mit Hochdruck arbeiten. Wenn jeder aktuell nur an sich denkt, haben wir ein riesengroßes Problem. Durch eine verringerte Konsumentennachfrage stornieren zurzeit internationale Mode-Unternehmen Aufträge bei ihren Zulieferern. Ganze Lieferketten werden geschlossen. Viele ArbeiterInnen bangen um ihren Lebensunterhalt und ihre Gesundheit. Der Druck auf Marken, Lieferanten und Einzelhändler ist größer denn je.
Wir haben gerade letzte Woche für unsere Wholesale-Partner das „Corona-Support-Paket“ vorgestellt. Hier unterstützen wir aktiv den Handel mit einem mehrstufigen Modell. Unseren Produzenten haben wir eine Zusicherung gegeben, die Aufträge nicht zu stornieren. In einer weiteren Maßnahme gilt es, den Bereich E-Commerce zu stärken. Genauso beobachten wir aktuell bei unseren Wholesale-Partnern kreative Lösungen und teilweise den Ausbau des Online Geschäfts.
Im Bereich Produktentwicklung setzen wir weiterhin den Fokus auf nachhaltige, langlebige und qualitativ hochwertige Produkte, die zeitlos sind und auch noch nächsten Frühling Spaß machen.
Wird sich der Konsum durch Corona verändern?
Ich glaube daran, dass Kunden weniger kaufen werden und noch viel mehr darauf achten, dass Produkte einen Wert haben, für etwas stehen. Weniger wird das neue Mehr. Ich bin da einfach Idealist. Wir sind raus gerissen aus der großen Globalisisierung. Es kommt zur einer Lokalisierung des Globalen. Die riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, die Milliarden von Einzelteilen über den Planeten befördert haben, wird es nicht mehr geben. Wir werden uns besinnen auf Handwerklichkeit und ortsnahe Produktion unter fairen transparenten Bedingungen. Es ist wie die Heilfastenmethode: Warum sollen wir nach dem Konsumfasten wieder in alte Muster verfallen? Das sind alles große Wünsche, die ich persönlich habe an die Zeit nach Corona! Neben den Ängsten und der Ungewissheit.
Was wird die größte Challenge der nächsten Monate?
Wir wissen natürlich nicht ganz genau, wie es weitergeht. Das organisatorische Thema im Umgang mit Covid 19 haben wir erstaunlich gut geschafft, plötzlich klappt es mit der digitalen und dezentralen Arbeit vom Homeoffice aus. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona kommen jetzt langsam aber auch mit voller Wucht und, ja, es wird Händler geben, die die finanzielle Belastungen nicht stemmen können. Das Wholesale-Geschäft wird sich daher radikal sehr schnell verändern. Unsere Herausforderung ist es, dies anzunehmen und uns möglichst schnell darauf einzustellen.
Aktuell ist nach der Empfehlung von Bund und Länder auch das Tragen von Masken in aller Munde. Es wird vermutlich mehr denn je zu unser aller Alltag gehören. Doch Masken sind derzeit Mangelware! ARMEDANGELS hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um gemeinsam mit seinen Produzenten in Portugal wiederverwendbare, vierlagige und waschbare Masken aus Bio-Baumwolle zu einem fairen Preis herzustellen.
Und über den Schutz unseres Gegenübers hinaus spenden wir pro verkaufter ARMEDANGELS Maske zwei Euro an Ärzte ohne Grenzen. Somit können wir die großartige Arbeit derer unterstützen, die an vorderster Front helfen – genau dort, wo das Virus am schlimmsten zuschlägt. Unser ambitioniertes Ziel ist es, eine Million Euro für Ärzte ohne Grenzen zu sammeln.